Der Fall aus der Beurteilungsspraxis
Grundlage
1. Art L Die Mitarbeiterbeurteilung: Ein überschätztes Instrument? Das Dilemma zwischen Anspruch und Wirksamkeit Prof. Dr. H.E.Meixner in: DÖD, Mai 2020, S. 117 – 125. (siehe unter Home)
2. WebSeminar
Wie wirken sich die geänderten Arbeitsformen in Zeiten von Corona auf das Führungsfeld und die Beurteilungspraxis aus?
Corona wirkt auf die täglichen Abläufe und Gewohnheiten. Mit der Entflechtung von räumlichen und zeitlichen Präsenszeiten werden künftig konsequenter ziel- und ergebnisorientierte Führungsmodelle den Verwaltungsalltag bestimmen. Das führt zu einer neuen Gewichtung der Kommunikationsprozesse und der Interaktion. Das hat gravierende Auswirkungen auf die Personalplatzierung sowie auf das Beurteilungs- und Auswahlsystem der Verwaltung. In diesem Prozess werden auch die Schwachstellen der heutigen Beurteilungspraxis offensichtlicher. Akzeptanz und Güte der Beurteilung erzwingen eine wirksamere Vernetzung der Komponenten im Beurteilungssystem und ein stärkeres Qualitätsbewusstsein zwischen den idealisierten Annahmen der Rechtsprechung und der Beurteilungsrealität.
In diesem Webinar werden diese Entwicklungstrends aufgezeigt und Lösungsansätze diskutiert.
Anmeldung für das webinar beim Verlag unter https://bit.ly/3ib4Qqb
Acht Mitarbeitende müssen in den nächsten Wochen von Frau Fürstenberg beurteilt werden. Auch Frau Fürstenberg wird von Ihrer Führungskraft beurteilt. Dieser Vorgesetzte fungiert bei ihren Beurteilungen auch als ihr Zweit-beurteiler.
Fallbeschreibung
In diesem Jahr steht für Frau Fürstenberg eine Regelbeurteilung für 8 Mitarbeitende des gehobenen Dienstes in ihrem Team an. Neben den acht Beamten sind in diesem Team vier Angestellte in vergleichbaren Arbeitsgebieten tätig. Die Regelbeurteilung für die acht Beamten ist auf einen Zyklus von drei Jahren festgelegt. Für vier Angestellte steht die im TVöD festgelegte jährliche Leistungs-bewertung an (LOB). Als Mitarbeiterin des höheren Dienstes wird Frau Fürstenberg später ebenfalls von ihrem Vorgesetzten beurteilt.
Das Team hat Frau Fürstenberg vor zwei Jahren von einer sehr nachsichtigen Teamleitung über-nommen. Die ersten Monate in der Funktion als Teamleitung waren daher für sie sehr schwierig. Zum einem, weil der Vorgänger auf eine - wie er betonte - „totale Delegation“ setzte. Damit rechtfertigte er nett seinen laissez-faire Führungsstil. Zum anderen hatte Frau Fürstenberg es mit dem Frust ihres Stellvertreters zu tun, den sein Vorgänger als „gesetzten Nachfolger“ lobte und förderte, aber bei dem Auswahlverfahren vergeblich unterstützte. Sie - und nicht er - hat das Rennen gemacht.
Dieser Stellvertreter ist zudem deutlich älter als Frau Fürstenberg und er ist davon überzeugt, dass alle Mitarbeitenden im Grunde genau wissen, was zu tun ist. Daher tut er sich auch schwer, wenn Frau Fürstenberg die Arbeitsabläufe im Team anders regelt und vor allem, wenn sie in dem Arbeitsbereich des Stellvertreters neue Impulse setzen will. Gern zitiert dieser Mitarbeiter in diesem Kontext dann Lee Iacooca: „Man muss die Leute mit dem Ball laufen lassen.“ Ähnlich sieht das wohl auch ihre Fachbereichsleitung, die kurz vor der Pensionierung steht.
Zwischen der Fachbereichsleitung und Frau Fürstenberg gibt es eine Reihe von unterschiedlichen Auffassungen zu den Aufgaben und Rollen der Führung und zum Führungsstil. Dabei ist es in den vergangenen Jahren häufiger zwischen Frau Fürstenberg und der Fachbereichsleitung zu Friktionen gekommen. So geht die Fachbereichsleitung davon aus, dass Führungskräfte auf dieser Ebene der Hierarchie vor allem für besonders anspruchsvolle Aufgaben die besseren und qualifizierteren „Obersachbearbeiter“ sind. Ansonsten bleibt er sehr vage, mitunter widersprüchlich im eigenen Führungsverhalten, aber auch wenn er in kritischen Situationen seine Erwartungen an die Führung umschreibt.
Frau Fürstenberg sieht sich nicht als „Obersachbearbeiterin“, wenngleich sie sich selbstkritisch häufig in der Rolle des „Lehrmeisters“ wider besseres Wissen verheddert. Noch aber ringt sie um eine Antwort, was denn eigentlich die Kernaufgaben einer Führungskraft ist? Offensichtlich hat sie eine andere Sicht als ihre Fachbereichsleitung, wenn es um die Frage der Führungsverantwortung geht.
(Aufgabe 1)
Aber auch die Erwartungen des Teams, die sich an den Erfahrungen mit dem Vorgänger orientieren, sind aus ihrer Sicht eine schwere Last. Letztendlich wurden diese unterschiedlichen Auffassungen sowohl zwischen dem Team als auch der Fachbereichsleitung bislang nicht geklärt.
(Aufgabe 2)
Nun steht in wenigen Wochen die Regelbeurteilung für Frau Fürstenberg an. In ihrer doppelten Rolle als Beurteiler von acht zu beurteilenden Mitarbeitenden und als Zu- Beurteilende stellt sich für Frau Fürstenberg die Frage nach der Sinnhaftigkeit dieser zyklischen Regelbeurteilungen. Die Meinungen im Kollegenkreis gehen in dieser Frage weit auseinander. Manche sehen in diesem formalen Ablauf ein Ritual, das man eben so gut es eben geht abarbeiten muss. Andere sehen die Beurteilung als ein alternativloses Muss. Einige fürchten, dass die Beurteilung eher Demotivation als einen Leistungs-impuls auslöst. Auch wird der Aufwand und der aus der Beurteilung abzuleitende Nutzen sehr kritisch gesehen.
(Aufgabe 3)
Es fehlt in dem hektischen Tagesgeschehen einfach die Zeit, sich über die Rolle, die Aufgaben und Funktionen einer Führungskraft einmal gemeinsam auszutauschen. Das sieht Frau Fürstenberg sehr kritisch, Denn ihr Vorgesetzer wird ihre Führungskompe-tenz in der anstehenden Regelbeurteilung zu beurteilen haben. Doch was er unter einer excellenten Führung versteht, muss sich nicht in ihrem Rollenbild von Führung wider-spiegeln. Dabei hätte man in den jährlichen Mitarbeitergesprächen die Chance gehabt, die unterschiedlichen Standpunkte abzugleichen. Doch dazu ist es auf der Fachbereichs-leiterebene nicht gekommen. In den zwei Jahren seit Ernennung zur Teamleitung ist lediglich einmal ein solches Gespräch unter starkem Zeitdruck sehr oberflächlich und dies in Kürze geführt worden. Das für Frau Fürstenberg Belastende bliebt im Gespräch mit der Fachbereichsleitung unausgesprochen.
(Aufgabe 4)
Aus der Sicht von Frau Fürstenberg war dieses Gespräch unbefriedigend, aus Sicht der Fachbereichsleitung durchaus angemessen. Bislang ist es Frau Fürstenberg nicht gelun-gen, mit ihrer Fachbereichsleitung die für sie wichtige Frage zu klären, was denn aus der Sicht der Fachbereichsleitung eine erfolgreiche Führung ausmacht. Versuche mit der Fachbereichsleitung bei diesen Themen ins Gespräch zu kommen, endeten immer wieder mit einer ironischen Abwehr: „Sie sind wohl nicht ausgelastet!“ „Ich erwarte, dass sich die Führung in meinem Fachbereich den praktischen Herausforderungen stellen!“ „Wir sind hier nicht auf dem Campus, es geht um die Praxis und nicht um theoretische Spitzfindigkeiten!“
(Aufgabe 5 "Obersachbearbeiter")
Für die jetzt anstehende Beurteilung spielt die Führungskompetenz in der Beurteilung eine große Rolle. Von den sieben Leistungsmerkmalen sind zwei direkt der Führung zugeordnet: Es sind dies die beiden Merkmale „aufgabenorientierte“ (zielorientiertes Führen, Arbeitsorganisation, Information, Delegation, Unterstützung, Ergebniskon-trolle) und „mitarbeiterorientierte“ (Motivierung, Förderung, Beteiligung, Kommu-nikation, Konfliktfähigkeit, Fürsorge, Gerechtigkeit, Team-orientierung) Führungs-leistung. Das sind im Grunde die gleichen Bewertungsaspekte, wie sie auch Frau Fürstenberg kennt, als sie sich auf diese Stelle beworben hat. In diesen Beurteilungen wurde ebenfalls unter „Führungsverhalten“ sowohl in die Fachebene (Kompetenz; Arbeitsverteilung; Führung über Ziele; Delegation) wie auch in die mitarbeiterbezogene Ebene (Umgang mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern) unterschieden.
Mit dieser Differenzierung kann sich Frau Fürstenberg aus ihren praktischen Erfahrungen heraus gut arrangieren, denn als Führungskraft muss sie sich ständig auf diesem schmalen Grad zwischen Aufgabenerfüllung und Fürsorge bewegen: Auf der einen Seite muss das Team die anfallenden Aufgaben lösen, auf der anderen Seite findet dieser Auftrag seine Grenzen, wenn die Mitarbeitenden nachhaltig überfordert werden. Diesen Zielkonflikt erlebt Frau Fürstenberg besonders aktuell, da eine Stelle schon seit fast einem Jahr unbesetzt ist und zwei Mitarbeitende häufiger ausfallen. Bislang ist es ihr gelungen, in einem ausgewogenen Verhältnis sowohl das Arbeitsklima im Team wie auch die anstehenden Aufgaben zu erledigen. Das ging häufig nur, indem sie eingehende Sonderaufgaben nicht an das Team weiterreichte, sondern sich selbst um diese Arbeite kümmerte. Weniger dringliche, aber durchaus wichtige Führungsaufga-ben mussten daher wegen der Erledigung wichtiger Termine liegen bleiben. Darüber mokierte sich der Stellvertreter, der aber jedes höhere Engagement strikt ablehnte und auf Sonderaufträge seitens der Fachbereichsleiterebene verweist, die er vordringlich zu bearbeiten habe. Besonders die Konflikte zwischen ihr und ihrem Stellvertreter wurden mitunter auf der Fachbereichsleiterebene ausgetragen. Das endete meist mit vagen Kompromissen, die den eigentlichen Konflikt aber weiter schwelen ließen. Offensichtlich war die auf Harmonie bedachte Fachbereichsleitung nicht bereit und in der Lage, eine klare Position zu beziehen, bedingt wohl auch, weil ein enges infor-melles Beziehungsgeflecht zwischen Fachbereichsleitung, Stellvertreter und ehemaliger Teamleitung besteht. Diese informellen Beziehungen nutzt der Stellvertreter auch, um an der Teamleitung vorbei mit der Fachbereichsleitung offene Fragen in seinem Sinn zu klären.
Stand 08 08 2020